Vom Münchner Hauptbahnhof geht es mit Zug und Bus in den Deggendorfer Vorort Fischerdorf und von dort über Wanderwege und Fußpfade zum Zusammenfluss von Isar und Donau. An der immer schmäler werdenden Landzunge, die die beiden Flüsse trennt, beginnt also meine Isarerkundung. Überraschend schnell fließt die hier durch beidseitige Dämme fast kanalisiert wirkende Isar ihrem Ziel entgegen. Die Donau dagegen, die nahe Deggendorf zwar noch nicht ihre spätere Majestizität besitzt, scheint dennoch mit einer gewissen Gravitas daherzukommen. Der Blick nach Osten, wo nun die vereinten Wasser der beiden Flüsse hinströmen, hat etwas Verheißungsvolles: Passau, Linz, Wien, Budapest und fernere Gegenden bis hin zum Schwarzen Meer liegen vor mir und wecken die Phantasie.
Doch für mich gilt es, den Blick zu wenden und meinen Weg isaraufwärts zu beginnen. Schon auf den ersten Metern schießen mir viele Gedanken durch den Kopf, jetzt, da ich mein Unterfangen tatsächlich in Angriff nehme. Wie weit ist meine erste Etappe eigentlich genau? Was ist das richtige Wandertempo? Und brauche ich dafür spezielle Wanderausrüstung oder tun es auch ganz normale Sneaker und mein Alltagsrucksack? Währenddessen begleitet mich das Rauschen der nahen Autobahn A3, die auf ihrer Strecke von Nürnberg nach Passau dem Lauf der Donau folgt. Langsam wird der Autolärm leiser und die Stille der Natur lauter.
Einige hundert Meter flussabwärts bestätigt sich mir der Eindruck, den ich bereits auf meinem Weg durch die Auen- und Sumpflandschaft zur Isarmündung hatte: Das Isardelta gibt es wirklich. Bisher dachte ich, es würde sich dabei nur um einen Phantasiebegriff handeln, um eine augenzwinkernde Hommage meines Münchner Lieblingsbluesers Schorsch Hampel an das Mississippi-Delta. Doch nun gerate ich Schritt für Schritt in eine Umgebung, die mich immer mehr an die eintönige Schwere der Deltalandschaft in Jim Jarmusch’ “Down by Law” erinnert. Neben dem Flussdamm, auf dem ich gehe, erstrecken sich unwegsames Gebüsch, Tümpel und Sumpfgebiete. Bisweilen ist der Weg auch für einige Meter mit niedrigem Wasser überschwemmt und schnell hole ich mir nasse Füsse. Auf der anderen Flussseite erblicke ich Schilfwiesen, schmale Isarseitenarme und gelegentlich aufragende Baumstümpfe. In all dem scheine ich der einzige Wanderer an diesem Nachmittag zu sein, begleitet von dem meist unerwartet geräuschlosen Flusslauf.
Erst gegen Flusskilometer fünf - die Entfernungsschilder begleiten mich seit der Isarmündung in zuverlässigen 200 Meter Abständen - nimmt das Landschaftsbild wieder eine stärker kultivierte Erscheinungsform an. Nun säumen lange Reihen von Lindenbäumen auf beiden Seiten die Ufer und bieten dem Wanderer auf dem Dammweg willkommenen Schutz vor der Sonne. In der weniger unwirtlichen Umgebung fällt mir das Gehen leichter, doch auch hier gibt es zwischendurch mal eine überschwemmte Stelle oder auf der gegenüberliegenden Flussseite eine verwaiste Baustelle, an der ein Stück vom Hochwasser untergrabene und teilweise weggespülte Uferböschung wieder instandgesetzt wird.
Schließlich erblicke ich die neue, erst vor einigen Jahren fertiggestellte Autobrücke, die mich vor Plattling auf das östliche Isarufer und in die Nähe meines heutigen Etappenziels bringen soll. Am diesseitigen Brückenende begrüßt mich eine ausgedehnte Schafherde mit vielstimmigen Mähen, auf der anderen Seite die Statue eines über das Schicksal der Flussüberquerer wachenden St. Nepomuk. Noch einige Schritte und dann ich erreiche ich die neben dem Isarufer errichtete Kirche St. Jakob, heute Friedhofskapelle, zur Zeit ihrer Erbauung im 12. Jahrhundert Mittelpunkt des ursprünglichen Plattling (nachdem sich die Überschwemmungsgebiete der Isar immer mehr in Richtung der Siedlung ausbreiteten, wurde der Ort im 14. Jahrhundert auf die Westseite des Flusses verlagert).
Für mich ist der harmonisch-ruhige, von der Aura vieler Jahrhunderte durchdrungene romanische Kircheninnenraum eine schöne Belohnung für die Mühen der heutigen Wanderetappe. Schon als Kind haben mich Kirchenbauten fasziniert, damals vor allem in ihrer üppigen Barock- und Rokoko-Ausgestaltung. Mit der Zeit wurde es dann mehr die Schlichtheit und Ruhe der noch deutlich älteren Kirchen, die mich anzog. Auf meiner Wanderung isaraufwärts werde ich noch einigen solcher Sakralbauten mit fast tausendjähriger Geschichte begegnen - der Fluss spielte auch für die Ausbreitung des Christentums in Bayern eine wichtige Rolle.
Mit dem Bus geht es dann ins Zentrum von Plattling, wo ich mir trockene Socken kaufe und mich im italienischen Restaurant mit einem mit reichlich Knoblauch zubereiteten Fischteller stärke, bevor mich der Zug wieder nach München zurückbringt.